VIA EGNATIA

Auf den Spuren der antiken Via EgnatiaDER RÖMISCHE STRASSENBAU

Die Römer übernehmen die Kunst des Straßenbaus von den etwa im Gebiet der heutigen Toskana ansässigen Etruskern. Sie lernen von ihnen, wie man Fahrbahnen nivelliert, drainiert und mit einem Erdoberflächenbelag versieht.  Dem fügen die Römer noch die Kunst des Pflasterns hinzu, welche die Straßen zum Teil bis heute haltbar machen. In jeder römischen Provinz gibt es Städte, die als Verkehrsknotenpunkte dienen, so zum Beispiel Lyon und Reims in Frankreich, Karthago in Nordafrika oder Ohrid am Balkan.

Der Bau der ersten großen Überlandstraße, der Via Appia, auch genannt regina viarum, Königin der Straßen, beginnt im Jahre 312 v. Chr. Die Via Appia führt von Rom über Tarentum (Taranto) nach Brundisium (Brindisi), in jene an der Adria gelegene Hafenstadt, von der die Schiffe ablegen, um unter anderem die an der Adriaküste des heutigen Albanien gelegenen antiken Hafenstädte Apollonia – oder später Aulon – sowie Dyrrhachium anzulaufen, wo die im Jahre 146 v. Chr. gebaute Überlandstraße Via Egnatia durch den Balkan über Thessaloniki bis Byzanz (Konstantinopel) weiterführt. Ab Byzanz übernehmen die Römer das Straßennetz der Assyrer, Perser und Griechen, das sich über Kleinasien bis nach Syrien und Ägypten verzweigt.

Ebenso werden Straßen über die Alpen in das heutige Frankreich, die Schweiz, nach Spanien und Deutschland – wo sie bis an den Limes reichen – gebaut. Im Jahre 200 gibt es etwa 150.000 Kilometer römische Staatsstraßen. Diese gigantische Straßenbautätigkeit ist in erster Linie militärisch motiviert, auch wenn sie daneben der zivilen Nutzung dient.

Die römischen Straßen zeichnen sich insbesondere durch ihren geradlinigen Verlauf aus, der sie heute noch als solche kenntlich macht. So schreibt Plutarch über ein Bauprogramm der Jahre 123 und 121 v. Chr.: „Gerade und ebenmäßig wurden sie durch die Lande gezogen, teilweise mit behauenem Stein gepflastert, teilweise mit Füllungen von festgestampften Sand abgeglichen. Und indem Geländesenkungen ausgefüllt und die durch Wildbäche oder Schluchten unterbrochenen Stellen durch Brücken verbunden wurden und beiderseits eine gleiche und ausgeglichene Höhe bekamen, bot das Werk überall einen ebenmäßigen und schönen Anblick.“3 Doch ist es nicht der schöne Anblick, sondern der hohe Gebrauchswert, der die Straßen für die Römer so wichtig macht: Die solide Bauart macht die Straßen zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter passierbar.

Nur in Tälern wird vom schnurgeraden Straßenverlauf abgewichen. Dort verlegt man die Straßen nicht in der Talsohle, sondern trotz welligen Verlaufs entlang der Talränder, nicht nur um Frühjahrsüberschwemmungen auszuweichen, sondern auch um die dort marschierenden Heere vor Überraschungsangriffen zu schützen.

Die Straßenbauarbeiten werden meist von Pionieren der römischen Legionen abschnittsweise mit einfachsten Werkzeugen wie Spaten, Hacke und Hammer ausgeführt. Mühselig muss der Aushub mit Körben zur Seite geschafft werden, denn die Schubkarre hat noch nicht den Weg von China nach Europa gefunden. Aus Handbüchern der damaligen Zeit geht hervor, dass 75 bis 110 cm Erdreich ausgehoben werden, um nach Prüfung der Boden- und Geländebeschaffenheit eine den Umständen angepasste, meist dreilagige Straßenbettung anzulegen. Die als Bindematerial verwendete Erde muss stets aus einer anderen Gegend stammen als der Erdaushub. Ein mit vulkanischer Tufferde angemischter Mörtel ergibt den so genannten  Römischen Beton, der sogar unter Wasser abbindet. In sandigen oder morastigen Gebieten wird die Bettung mit Felsbrocken unterfüttert oder es wird mit Hilfe von Pfählen eine Art hölzerner Lattenrost eingezogen.

Der Dichter Statius vermerkt dazu: „Wie viele Hände sind vereint am Werk! Einige fällen das Holz der Wälder, und einige befreien vom Gestrüpp die Berge, mit Eisen glätten einige das Felsgestein sowie den Rand der Straße; Andere mit heißem Sand und fein gekörntem Tuffgestein verlegen die Steine der Decke. Mit Mühe entleeren einige die Tümpel, die immer von neuem sich füllen; andere leiten die Wasser der Rinnsale weit weg.“4

Stark frequentierte Straßen erhalten einen Belag aus polygonalen Pflastersteinen, die zwanzig Zentimeter dick sind und aus äußerst hartem Material wie Granit, Basalt oder Porphyr bestehen. Zur Mitte hin erhält der Belag eine Wölbung, so dass Regenwasser seitlich in Gräben abfließen kann. Im Hinterland verlaufende Straßen sind dagegen oft nur mit grobem Sand bedeckt.

Häufig gibt es neben der Straße einen circa 65 Zentimeter breiten Gehweg für Fußgänger und Lasttiere. Des Weiteren sind in Abständen an den Straßenrändern hohe Steine angebracht, die das Besteigen der Pferde und das Ein- und Aussteigen in die beziehungsweise aus den Wagen erleichtern.

Die Straßen sind von unterschiedlicher Breite, zwischen drei und fünfeinhalb Meter, die sich vor Stadteinfahrten allerdings bis auf dreißig Meter verbreitern beziehungsweise bei Schmalstellen bis auf eineinhalb Meter verengen können. Die Steigung bei Pässen kann bis zu fünfzehn Prozent betragen.

Ist eine Flussdurchquerung durch Furten nicht möglich, werden Brücken aus Holz, Stein oder steinverkleidetem Gussmauerwerk in Form von Bögen auf massiven Pfeilern gebaut. Um eine möglichst horizontale Zufahrt zu ermöglichen, führen lange Zufahrtsrampen auf die Brücken.

Nach jeder römischen Meile muss auf den Überlandstraßen ein Meilenstein aufgestellt werden, d.h. es handelt sich dabei um Säulen auf einem quadratischen Sockel, in welche die Entfernung von Rom bzw. von der Stadt, in der die Straße beginnt, eingraviert ist. In den Provinzen wird auch manchmal die Entfernung zwischen zwei Städten angegeben. In Rom und in wichtigen Straßenausgangsstädten der Provinzen gibt es Meilensteine, in die darüber hinaus die Entfernungen zu den wichtigsten Städten eingemeißelt sind. Stets trägt der Meilenstein auch den Namen des jeweiligen römischen Herrschers und seine gesamte Titulatur. Meilensteine von der Via Egnatia aus dem 2. Jahrhundert finden sich heute im Archäologischen Museum von Durrës, in Apollonia und im Stadtmuseum von Ohrid, dort mit der in Griechisch und Latein verfassten Inschrift: „8 Meilen bis Lychnidos“.

In Italien hat jede Straße ihren eigenen curator, der für ihre Instandhaltung und ihren Polizeischutz sorgen muss. In den Provinzen hat diese Aufgabe der jeweilige Gouverneur zu erfüllen, der die Aufträge an die Gemeinden vergibt.

Noch im Mittelalter und in der Renaissance verläuft der Verkehr entlang der alten Römerstraßen. Erst im 19. Jahrhundert gelingt es, die Fertigkeiten der alten Römer bei der Anlegung von Straßenbettungen zu übertreffen.

 

Anmerkungen
3
Casson, Lionel: Reisen in der Alten Welt, Prestel Verlag, 1974 S. 194 f (Plutarch, Gaius Gracchus, 7. Römischer Straßenbau, Grenier Kap. 10)
4 Giebel, Marion: Reisen in der Antike, Patmos 2006, S. 135, Publius Papinius Statius, (Silvae 4,3)

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